Alles hat seine Zeit, für jedes Vorhaben gibt es eine Stunde, so heißt es im Alten Testament im Buch Prediger, und es werden Beispiele genannt, Gegensatzpaare: pflanzen hat seine Zeit und ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit und abbrechen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit und weinen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit und schweigen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit und klagen hat seine Zeit – insgesamt sind vierzehn solche Paare genannt. Ich erlaube mir, noch einige
hinzuzufügen: ankommen hat seine Zeit und Abschied nehmen hat seine Zeit, in der Gemeinde mitarbeiten hat seine Zeit und Aufgaben in andere Hände zu legen hat seine Zeit, predigen hat seine Zeit und zuhören hat seine Zeit, anpacken hat seine Zeit und loslassen hat seine Zeit.
Dieser Zeitpunkt ist für mich nun gekommen. Am 2. Advent, dem 08. Dezember 2024 habe ich mein ehrenamtliches Dienstverhältnis mit der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens als Pfarrer, insbesondere in der Urlauberarbeit, in der Gemeinde Zittauer Gebirge / Olbersdorf beendet. Mit diesem Termin ist zugleich ein persönliches Jubiläum verbunden – vor genau 50 Jahren, am 2. Advent 1974, wurde ich ordiniert.
Mich bewegen dabei Gedanken, Erinnerungen, Gefühle, und ganz oben steht dabei eine tiefe Dankbarkeit. Zuerst danke ich Gott für die Möglichkeit, in der Gemeinde Dienst zu tun, und Gott hat für mich dazu offenbar ein ganz tolles „Paket“ geschnürt: beeindruckende Menschen und Begegnungen, Glaubenserfahrungen und Gebetserhörungen, die großartige Natur und Kultur vor Ort, das Gefühl, akzeptiert zu sein und in Anspruch genommen zu werden sowie eine stabile Gesundheit.
Ich danke für die freundliche, unvoreingenommene Aufnahme in den Kreis der Mitarbeiter vor 15 Jahren. Ich danke für die fruchtbare, intensive Zusammenarbeit mit meinen Kolleginnen und meinem Kollegen vor Ort im Pfarrdienst, aber auch im Konvent und in der Ökumene. Ein besonderes Dankeschön für viel gute Musik, ob bei Konzerten, im Gottesdienst oder bei den Meditationen. Ich danke für die stets freundliche und zuverlässige Tätigkeit in der Verwaltung.
Den Kirchenvorstand durfte ich als sehr kompetent und konstruktiv, verantwortungsvoll und engagiert erleben. Ganz besonders dankbar bin ich für die vielen Begegnungen und Gespräche mit Menschen: Gemeindegliedern und Urlaubern, Gläubigen und Atheisten, Protestanten und Katholiken, Feiernden und Traurigen. Sie haben mir viel vermittelt: Anregungen und Ermutigungen, Bestätigung und Kritik, Fragen und Herausforderungen u.a.m. Insgesamt kann ich für mich das Fazit ziehen: es war eine gute Zeit (- ich hoffe, auch für die Gemeindeglieder und Urlauber).
Und natürlich fallen mir rückblickend viele Episoden ein: vom Täufling, der mir bei der Taufhandlung mit großer Präzision seinen Schnuller in den Ärmel des Talars spuckte oder der goldenen Braut, die sich bei der Vorbereitung der Feier zwei Tage vor der Einsegnung den Arm brach und dann „gut geschient erschien“.
Da war das Paar aus Hessen, das in Oybin heiraten wollte. „Wir werden nur acht Personen sein“. Okay. Als ich zu Trauung nach Oybin fuhr, war mein VW auf der Straße hinter Zittau ein regelrechtes „Sandwich“, eingekreist von lauter Isettas („Isetta“, ein fast kugelförmiger, plexiglasbetonter Kleinstwagen für zwei Personen der 50er Jahre, aber immerhin von BMW). In Oybin – kein Parkplatz frei – alles besetzt von Isettas, Autokennzeichen von Garmisch-Partenkirchen bis Flensburg. Dann in der Kirche: alles voll, ca. 300 Leute im Oldtimeroutfit. Sie wollten Braut und Bräutigam, dem Präsidentenpaar des Oldtimerklub Deutschland für „Isetta“, das passende Geleit geben. Weder das Paar noch ich hatten davon etwas geahnt.
Vor ca. zwei Jahren erzählte mir meine Tochter – mit einem breiten Grinsen im Gesicht: ihre Kollegin hat ihr kurz nach Weihnachten berichtet „ich war bei der Kaiserweihnacht in Oybin, das war richtig klasse, und der Schauspieler, der – als Pfarrer kostümiert – die Weihnachtsgeschichte vorgetragen hat, war auch richtig gut.“ Meine Tochter hat ihr schmunzelnd geantwortet „erstens, der „Schauspieler“ das ist mein Vater und zweitens, der ist tatsächlich Pfarrer“!
Weitere Geschichten aus den 15 Jahren, alle möglichen Lebensbereiche betreffend, könnten hier sicherlich ein ganzes Buch füllen. Und wenn nun für mich solch ein Lebensabschnitt zu Ende geht, bleiben die Erinnerungen als wahrer, wertvoller Schatz im Herzen, – und ein Teil meines Herzens bleibt auch hier in der Gemeinde bei den Menschen und im Gebirge.
Das alles sind die Gründe für meine tiefe Dankbarkeit, dass ich hier sein durfte. Dennoch gilt: alles hat seine Zeit.
Mögen Sie alle bewahrt bleiben unter Gottes Schutz und Segen
Ihr Pfarrer Gotthilf Matzat